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Felix Freudenberger (1874-1927), Würzburg

Felix Freudenberger kam am 8. August 1874 in Heidingsfeld bei Würzburg zur Welt. Seine Eltern Jakob (1828-1911) und Sara Freudenberger, geb. Bacharach (1835-1902), hatten insgesamt elf Kinder großzuziehen. Das Gehalt des Vaters, der als Lehrer nie fest vom Staat oder der Kommune bezahlt wurde und zuletzt sogar eine Privatschule eröffnete, reichte nur für das Nötigste, durchaus eine Voraussetzung, sich für die Politik der Sozialdemokratie begeistern zu lassen.

Felix Freudenberger besuchte die israelitische Volksschule seines Vaters in Heidingsfeld und anschließend die israelitische Realschule in Fürth. Hier erwarb er den Berechtigungsschein für den einjährigen militärischen Freiwilligendienst, von dem er aber scheinbar nicht Gebrauch machte. Auf der Fürther Gewerbeschule wurde er zum Kaufmann ausgebildet. Anschließend arbeitete er als Buchhandlungsgehilfe in Frankfurt am Main, Witten an der Ruhr und anderen Städten, ehe er 1899 nach Würzburg zurückkehrte. Er arbeitete zunächst als Versicherungsinspektor. In der Augustinerstraße 4, also im selben Haus, in dem er auch lebte, eröffnete er ein Jahr später, am 3. Mai 1900, eine eigene Buchhandlung. Dort verkaufte er neben Büchern auch Papier und sonstige Schreibwarenutensilien. Seit 1895 hatte er sich politisch der Arbeiterbewegung zugewandt, was auch am Buchangebot seines Ladens erkennbar war.

Ebenfalls im Jahr 1900 heiratete er die aus Heidingsfeld stammende Rosa Frankenfelder, ein Jahr später kam die einzige Tochter Sophie zur Welt. Mit zunehmender politischer Tätigkeit ihres Mannes übernahm Rosa Freudenberger die Leitung des Geschäfts. Felix Freudenberger trat auf unterschiedlichsten Veranstaltungen in Würzburg und ganz Unterfranken auf, was seinen Bekanntheitsgrad ebenso wie seine politische Bedeutung steigerte. Parallel schrieb er Artikel für den „Fränkischen Volksfreund“ und schon dessen Vorgängerzeitung, ein damals zentrales Organ der fränkischen Sozialdemokratie.

1907 kandidierte Freudenberger erstmals für den Bayerischen Landtag, jedoch zunächst ohne Erfolg. Seit 1914 gehörte er dem Landesvorstand der Bayern-SPD an, was seine weitere Karriere bereits vorzeichnete. Doch der Erste Weltkrieg brachte zunächst all seine Bemühungen auf Landesebene zum Erliegen. So war Freudenberger für kurze Zeit als Armierungssoldat im 9. Infanterieregiment an der Front eingesetzt. Bereits seit 1911 gehörte Freudenberger durchgehend einer der beiden Kammern des Stadtrates von Würzburg an und beschränkte sich in der restlichen Kriegszeit folgerichtig auf Kommunalpolitik. In dieser Zeit war er zunehmend ins Visier der Sicherheitsbehörden gelangt und wurde dauernd polizeilich überwacht. Einerseits war er ein offener Kritiker der sozialdemokratischen Burgfriedenspolitik, andererseits hatte er mit dem späteren Reichstagsabgeordneten Curt Geyer (1891-1967) einen ausgewiesenen Linken nach Würzburg geholt, der von 1915-1917 als Redakteur für den „Fränkischen Volksfreund“ arbeitete.

Fand Freudenberger gelegentlich Zeit, im Geschäft ganz normal seinem Tagwerk nachzugehen, besuchte ihn häufig dieser aus Leipzig zugereiste Genosse. Er schrieb in seinen Erinnerungen: „Ich besuchte ihn täglich in seiner Buchhandlung in der Augustinerstraße, wo wir unsere Ansichten und Meinungen über den Krieg und den Gang des Krieges, über die Haltung der Regierung und die Lage in der Partei austauschten. Mit Ausnahme von einigen Wochenenden […] nahm ich regelmäßig an den Sonntagsnachmittagsspaziergängen der Großfamilie Freudenberger teil.“ Bei katholischen Landpfarrern galt die „Illustrierte Sittengeschichte“ von Eduard Fuchs als Bestseller dieser Tage. Zudem fand die städtische Zensurbehörde 300 Exemplare von Leonhard Franks indiziertem, pazifistischem Machwerk „Der Mensch ist gut“ in der Buchhandlung und konfiszierte diese.

Ferner fand 1917 in Würzburg ein SPD-Parteitag statt, auf dem Freudenberger den aus dem ganzen Reich angereisten Delegierten in einer Antragsrede vorzuschlagen versuchte, das künftig sämtliche Kriegskredite seitens der SPD abzulehnen seien. Er wurde mit 257 zu 26 Stimmen niederschmetternd überstimmt. Trotz allem unterstützte er den Gedanken zum Übertritt der Würzburger SPD zur neu gegründeten USPD nicht, worin er sich maßgeblich von seinem einstigen Parteigenossen und Freund Felix Fechenbach (1894-1933) unterschied, der sogar Kurt Eisners (1867-1919) Sekretär in dessen Zeit als Ministerpräsident in München wurde. Stattdessen sollte man Freudenberger zufolge weiterhin den linken Flügel der MSPD besetzen.

Nach Kriegsende gehörte er ab dem 11.11.1918 dem Arbeiter- und Soldatenrat Würzburgs als zweiter Vorsitzender an. Entgegen dem hauptstädtischen Charakter dieser Regierungsform war der Würzburger Ableger alles andere als revolutionär – trotz allem stand Freudenberger als Sozialist und Jude fortan in der Kritik der Rechten und war zunehmend in das Visier der Antisemiten geraten. Dabei unterzeichnete Freudenberger doch einen Aufruf mit folgendem Inhalt: „Jede Belästigung von Zivil- und Militärpersonen ist strengstens verboten. Der Arbeiter- und Soldatenrat verbürgt sich für strengste Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Schutz des Eigentums“ – eine entschiedene Kampfansage an die aufstrebende KPD, die er gemeinsam mit Fritz Endres (1877-1963) und Urban Engelhardt unterzeichnete.

Zusätzlich arbeitete der Arbeiter- und Soldatenrat Hand in Hand mit der alten Regierung zusammen. Dies wurde in Punkt 1 einer insgesamt sechs Punkte umfassenden Vereinbarung zwischen Regierungspräsident Julius Ritter von Henle (1864-1944), Oberregierungsrat Karl Graf von Soden (1862-1934), General Ludwig Freiherr von Gebsattel (1857-1930), Generalmajor Johann Etzel (1870-1937), Oberbürgermeister Andreas Grieser (1868-1955) sowie Fritz Endres und Felix Freuenberger festgehalten. Es verwundert daher nicht, dass Freudenberger, aber auch der Alt- und spätere DDP-Bürgermeister Dr. Hans Löffler (1872-1955) sowie dreizehn weitere Personen des öffentlichen Lebens von einer Hand voll Kommunisten, die sich in der Residenz verbarrikadiert hatten, als Geiseln genommen wurden. Nach der Befreiung war Freudenberger gar Mitbegründer des „Freikorps Würzburg“, das zuletzt mit 1.700 Mann gen München zog, um die „Weißen“ gegen die Räteregierung der Landeshauptstadt zu unterstützen. Bei der Ankunft waren die blutigen Straßenschlachten allerdings bereits beendet.

Seit dem 12. Januar 1919 gehörte Freudenberger gemeinsam mit dem Würzburger SPD-Parteisekretär Hans Dill (1887-1973) dem Bayerischen Landtag für eine Wahlperiode an (konkret bis zum 6. Juni 1920, Hans Dill hingegen bis 1932). Freudenbergers dortige Hauptaufgaben waren die Mitarbeit an der Ausfertigung einer neuen Verfassung, die Beratung in Fragen der auswärtigen Angelegenheiten und die Mitvorbereitung eines neuen bayerischen Lehrergesetzes. Seit Juni 1919 war er außerdem nebenamtlicher 4. Bürgermeister der Stadt Würzburg und zuständig für den Schul-, Bildungs- und Theatersektor. Bis zu seinem Tod bekleidete er auch noch das Amt eines Kreistagsmitglieds. Ebenfalls in den ersten beiden Nachkriegsjahren wurde er zusätzlich noch in die Verwaltung der Israelitischen Kultusgemeinde kooptiert, wo er als Anhänger der Liberalen beratend bei der Umwandlung der privaten jüdischen Volksschule in eine städtische beteiligt war.

Felix Freudenberger war also politisch und ehrenamtlich voll und ganz eingespannt, hatte kaum noch Zeit, im eigenen Geschäft zu arbeiten. Rosa Freudenberger, die vom gemeinsamen Großneffen Shraga Har-Gil als äußerst klug und gebildet beschrieben wurde, konnte sich in der Buchhandlung der Unterstützung durch ihre Tochter Sophie versichert sein, mit der sie das Familienunternehmen führte.

Felix Freudenberger war in Ergänzung zu allen bisher genannten Ämtern auch noch Aufsichtsrat der „Würzburger Straßenbahnen GmbH“, der „Kreiselektrizitäts-AG“, erster Schriftführer des Ausschusses der Ortskrankenkasse Würzburg-Stadt und – nachdem er sie selbst mit ins Leben gerufen hatte – Verwaltungsrat der Volkshochschule Würzburg.

Am 15. Dezember 1927 verstarb Felix Freudenberger im Alter von 53 Jahren an einer schweren Darmerkrankung in einem Sanatorium in Schönberg im Schwarzwald, wohin er einige Tage zuvor vom Luitpoldkrankenhaus aus überwiesen wurde. Wie geschätzt der SPD-Politiker trotz des zunehmenden Antisemitismus' und parteipolitischer Machtstreitigkeiten war, zeigt sich an einem Nachruf im konservativen „General-Anzeiger“, demzufolge Freudenberger „ein hervorragendes Rednertalent“ besessen hätte, stets „anständig“ geblieben sei und „seine öffentliche Tätigkeit als Dienst am Volk uneigennützig und besonnen“ ausgeübt hätte. Wie bedeutend er auch auf dem reichsweiten Parkett der Sozialdemokratie war, zeigen zwei prominente Redner auf seiner Beerdigung: der mehrfache Reichskanzler Hermann Müller (1876-1931) und der spätere Vorsitzende der Exil-SPD Hans Vogel (1881-1945).

Freudenbergers Großneffe Shraga Har-Gil setzte dem Großonkel in seinem Buch „Alte Liebe rostet nie“ ein literarisches Denkmal. Dort schafft er ein impressionistisches Motiv, die erfundene Farbe „meringo-blau“, eine Mischung aus violett und blau, die sich zeitlebens durch die Vitae von Felix, Rosa und Sophie Freudenberger gezogen habe. So sei die Buchhandlung in der Augustinerstraße in dieser Farbe gestrichen gewesen. Felix Freudenberger liebte die Farbe so sehr, dass er sogar das Geschenkpapier im Laden in dieser Farbe kaufte. Sophie hätte – dem Vater zuliebe – auf beiden Hochzeiten ein meringo-blaues Kleid getragen. Rosa, die sich zu seinen Lebzeiten geweigert hätte, diese ihr unliebsame Farbe in ihre Garderobe zu integrieren, hätte es nach Felix' Tod immer häufiger getan. Zuletzt wird auch das Ende der familiären Existenz in Deutschland mit dieser Farbe konnotiert: während auf dem Sarg von Felix Freudenberger 1927 ein meringo-blaues Tuch gelegen hätte, trug Sophie 1939 bei ihre erfolgreichen Emigration angeblich ein Kleid in derselben Farbe. Selbst Rosa soll an der Rampe von Auschwitz, als man sie dort im Mai 1944 direkt in den Tod schickte, ein Kleid in meringo-blau getragen haben. Und so verwundert es nicht, dass Hans Steidle die meringo-blaue Farbe als „impressionistisches Leitmotiv“ der Familiengeschichte Freudenberger bezeichnet.[1016]

Seit 2009 ist ein Platz in Würzburg nach Felix Freudenberger benannt.

Verwendete Literatur:

  • Wolfgang Benz/ Hermann Graml (Hgg.), Die revolutionäre Illusion. Zur Geschichte des linken Flügels der USPD. Erinnerungen von Curt Geyer, Stuttgart 1976, S. 49f.
  • Roland Flade, Die Geschichte der Würzburger Juden. Ihre Geschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Würzburg 1996, S. 175-179.
  • Roland Flade, Felix Freudenberger (1874-1927). Buchhändler, Arbeiterführer, Bürgermeister (Würzburg), in: ders., Jüdische Familiengeschichten aus Unterfranken, Würzburg 2015, S. 68-73.
  • Roland Flade, Felix Freudenberger (1874-1927), sozialdemokratischer Bürgermeister und Pazifist, in: Manfred Treml/ Wolf Weigand (Hgg.), Geschichte und Kultur der Juden in Bayern - Lebensläufe, München u.a. 1988, S. 269-272.
  • Shraga Har-Gil, Alte Liebe rostet nie. Mit einem Vorwort von Hans Steidle, Würzburg 2004, hier besonders S. 86-91 („Ewiges Meringo“).
  • Michael Schneeberger, Die „Hetzfelder“ Juden, in: Rainer Leng (Hg.), Die Geschichte der Stadt Heidingsfeld. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2005, S. 433-455, hier S. 453f.
  • Ullrich Weber, Würzburg vom Novemberumsturz zur Räterepublik, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 25 (1973), S. 81-135.

Autor: Riccardo Altieri, JSZ, 2017